[Daniel]
Die Wettervorhersage vermeldete Unheilvolles: heiß und dazu
noch gewittrig sollte das AMPHI Wochenende werden.
Erfreulicherweise hatte sich deshalb im Vorfeld der Veranstalter
bereit erklärt, eine kostenlose Trinkwasserstelle zur Verfügung
zu stellen, ohne die wir im nachhinein das Festival – wie
viele andere Besucher ebenfalls - wohl kaum überlebt hätten,
denn bei den hohen Außentemperaturen und ebenfalls hohen
Getränkepreisen bestand die Gefahr einer gnadenlosen Verschuldung.
11 Euro für einen halben Liter Festivalmet erscheint rekordverdächtig.
Da bekommt man schon einen relativ guten Rotwein für oder
wahlweise auch eine Pulle Jim Beam... Doch auch die restlichen
Getränkeangebote bewegten sich preislich auf einem hohen
Niveau.
Nachdem wir an dem recht zentral in Köln auf der rechten
Rheinseite gelegenen Gelände des Tanzbrunnens erst einmal
klassischerweise vorbeigefahren sind und als Strafe ein gutes
Stück zu Fuß laufen durften, verlief der Einlass im
Gegensatz zum Debüt des Festivals im letzten Jahr ohne Probleme
und man konnte erst einmal in Ruhe das Gelände erkunden.
Viele Blumenbeete, teils mit kleinen Palmen, ein kleiner Teich
mit Insel, die von einem Verkaufsstand in Beschlag genommen wurde
und sogar ein Spielplatz bildeten das etwas ungewöhnliche
Ambiente für ein Festival der schwarzen Klänge. Dabei
muss man sagen, dass auf dem Gelände schon noch Platz für
weitere Verkaufsstände gewesen wäre, so blieb in dem
Bereich ebenso wie fürs leibliche Wohl das Angebot doch etwas
dürftig – wenig Auswahl zu hohen Preisen.
.::
Fotos ::.
Samstag,
22.07.2006
[Daniel]
Normalerweise ist man von Festivals der etwas umfangreicheren
Größenordnung fast schon Pedanterie im Einhalten des
Ablaufplans oder zumindest leichte Verzögerungen nach Hinten
gewohnt, die den Künstlern dann gerne von ihrer Spielzeit
abgezogen werden. In Köln sollte man aber eine neue Variante
kennen lernen. Nach anfänglichen Erkundungen des Geländes
und erstem Festbeißen an einem Verkaufsstand eines bekannten
Szeneausstatters drangen vertraute Klänge vom Soundcheck
des Openers THIS MORN’ OMINA an mein Ohr.
Höchste Zeit also, sich in Richtung Bühne zu begeben.
So fingen die Belgier schließlich zehn Minuten vor der offiziell
verkündeten Uhrzeit an – und hörten auch zehn
Minuten eher auf, so dass sich der Zeitplan bei den nachfolgenden
Bands um stellenweise bis zu Viertelstunde nach vorne verschob,
was bei einigen Leuten mit Sicherheit sauer aufgestoßen
ist.
Doch nun zum
ersten Konzert: THIS MORN’ OMINA lösten
die normalerweise undankbare Aufgabe als erste Bands des Festivals
mit Bravour. Vielen der zu dieser Uhrzeit schon recht zahlreich
anwesenden Besuchern sicherlich durch ihren Tanzflächenkracher
One Eyed Man bekannt, heizte der Knöpfchendreher
Miguel Godrijk mit zwei Verstärkungen an akustischen wie
elektronischen Schlaginstrumenten mit seinem ethnomäßigen,
rhythmischen Industrialsound neben den unerträglichen Außentemperaturen
zusätzlich ein. Die beiden Trommler auf der Bühne wirkten,
neben dem fleißig zappelnden und etwas effekthascherisch
an seinem Mischpult herumhantierenden Miguel Godrijk, schon etwas
wie links und rechts postierte Statisten, gaben dem Auftritt aber,
im Gegensatz zu den sonst in diesem Genre so präsenten reinen
Laptop-Performances, den nötigen Live-Kick und dem in den
vorderen Reihen fleißig tanzendem Publikum eine halbe Stunde
lang die volle Tribaldröhung. Da war es völlig wurscht,
dass der „einäugige Mann“ nicht angestimmt wurde.
CEPHALGY
haben mich schon auf dem Out Of Line Festival alles andere als
vom Hocker gerissen und auch als zweite Band auf der Main Stage
in Köln können sie bei mir mit ihren vorhersehbaren
Electrosounds, deren Stilistik mich stark an Projekte eines gewissen
Chris Pohl (Blutengel, Terminal Choice, Tumor) erinnern, trotz
stellenweise guter Melodien einfach keinen Blumentopf gewinnen.
Nöliger Gesang, klischeehafte Texte und Bühnenshow –
dieses Mal mit weiblicher Unterstützung am Kunstbluttopf.
Ich brauche eigentlich nicht zu erwähnen, dass der Frontmann
seine Sonnenbrille während des Gigs nicht abnahm. Dafür
versuchte er, das Publikum mit dem Charme eines Feldwebels zum
Tanzen zu animieren, was ihm teilweise auch gelang, denn Songs
wie Engel sterben nie, Erinnerung oder Gott
kamen beim Publikum ganz gut an, auch wenn die große Euphorie
ausblieb. Also wenn schon die volle Klischeeladung, dann lieber
das Original in Form von Blutengel und Co.
[Susanne]
WELLE:ERDBALL waren der erste echte Stimmungsmacher
an diesem durchwachsenen Samstagnachmittag. Man drängte sich
unter der Überdachung vor der Hauptbühne zusammen, als
der zweite Regeschauer niederging und ließ sich von den
C64-Klängen mitreißen. Vom neuen Album Chaos
Total, das am 1.9. erscheinen wird, gab es ein paar
Schmankerl zu hören wie Das Alpha-Tier, Hoch
die Fahnen, Der Telegraph und die schmissige old-fashioned
Fifties-Boogie-Nummer Das Souvenir. Weitere Highlights
waren natürlich Starfighter F-104G und Schweben,
Fliegen und Fallen, währenddessen große Luftballons
über das Publikum schwebten, derer fünf angeblich Fünfzig-Euro-Scheine
enthalten sollten, was ich persönlich leider nicht verifizieren
konnte. ;-)
Eingestimmt
durch Cry Little Sister vom Lost Boys-Soundtrack betraten
die Finnen 69 EYES die Bühne und brachten
sogleich mit dem Opener Devils den Rock’N’Roll aufs
Festivalgelände, als auch die Sonne wieder die dunklen Regenwolken
durchbrach und den Tanzbrunnen mit ihren abendlichen Strahlen
überflutete. Finnland-Fähnchen wurden in den ersten
Reihen geschwenkt. Es folgte Hevioso und mit den Worten
„It’s good to be back in Germany“ stimmte Jyrki69
Feel Berlin an. Darauf folgten The Chair, Sister
Of Charity, Dance D’Amour, Framed In Blood und mit
“You guys rock!!” verabschiedeten sich die selbsternannten
Helsinki Vampires mit dem Song Lost Boys. Als Outro lief
People Are Strange, wiederum aus dem Lost Boys-Soundtrack.
Es gab keine großen Überraschungen, die Setlist war
so, wie man sie erwartete, dennoch finnischer Goth’N’Roll
at its best..
[Kerstin]
Jyrki hatte die gleiche Unfrisur wie vor 2 Jahren auf dem
M’era Luna Festival, hüpfte die ganze Zeit mit dem
Mikro durch die Gegend wie ein indianischer Medizinmann und ließ
es sich nicht nehmen, sich auf Jussis Basedrum zu stellen und
kokett mit dem Arsch zu wackeln, alles in allem also ein sehr
professioneller Auftritt...
[Susanne]
„Stille Nacht... alles schläft, nur wir sind wach...“
stimmte Eric Fish leise an, bevor SUBWAY TO SALLY
der Sommerhitze mit Schneekönigin entgegentrotzten,
während die Wunder der Technik dazu Kunstschnee links und
rechts von der Bühne rieseln ließen und eine so absurde
wie erfrischende winterliche Illusion erweckten, als die letzten
Strahlen der Abendsonne die eine oder andere bleiche Gotenhaut
bereits zart gerötet hatte. Nicht lange wähnte man sich
in winterlicher Idylle, denn es folgte sogleich der Kontrast,
die Pyrotechnik-Maschinerie wurde angeworfen und man fand sich
im Feuerland wieder.
„Es ist so naheliegend“, so Eric überleitend,
„es sind nur ein paar Schritte zum Vater Rhein, was läge
näher, als euch auf ein Schiff einzuladen, an dessen Mast
ein Büschel Haare weht... auf das Knochenschiff“.
Wie passend, dachte ich da so bei mir, die ich mich umzingelt
von Jack-Skellington-Täschchen und Haarspängchen sah.
Grinsende Totenschädelchen allüberall. ;-) Wie üblich
war es Subway natürlich gelungen, ihr Publikum dazu zu bewegen,
den Refrain mitzusingen, was natürlich ebenso beim folgenden
Kleid aus Rosen zu erwarten war, wozu es noch eine kleine
Feuershoweinlage gab.
Das folgende Lied Minne war von der Instrumentierung
her an die Akustiktour angelehnt und beruhigte die erhitzten Fans,
bevor es hernach darum ging, „die Hitze zu besiegen“
in Gestalt von Die Schlacht. Als sei es nicht schon heiß
genug, gab es dazu natürlich wieder jede Menge Feuer, aber
auch ein bisschen Erbarmen, als Eric zur Abkühlung einen
Wasserschlauch auf die Menge richtete. „Mann, ist das hell,
ihr seid doch alle Nachtschatten“ rief er und stimmte daraufhin
das schöne Lied Eisblumen an und ließ auch
eine kleine etwas verschüchterte „Eisblume“ aus
dem Publikum auf die Bühne holen.
Es folgten Falscher Heiland und Das Rätsel II,
als danach das Publikum Julia und die Räuber anstimmte
– doch es bedurfte noch zweier weiterer Lieder, nämlich
Sieben und Veitstanz, bis es seinen Willen bekam
- zu guter Letzt also Julia und die Räuber.
Ich hatte mich schon nach den ersten Liedern an den Rand in den
Schatten zurückgezogen, so dass ich keinen vollen Blick mehr
auf die Bühne bekam, so war mir wohl auch entgangen, dass
Herr Fish, wie Kollege Daniel mir berichtete, infolge eines harmlosen
Sturzes unfreiwillig die Antwort auf die Frage lieferte, was berockte
Männer so drunter tragen. Aber wer bei dieser Hitze so mit
dem Feuer spielt, trägt eben nur das Nötigste am Leib.
;-)
Inzwischen
hatte man die Tore zur zweiten Bühne in der Halle geöffnet,
worin es zu diesem Zeitpunkt noch schön kühl war, was
sich aber im Verlaufe des späteren Abends drastisch ändern
sollte.
So kam ich
zu dem Auftritt der Newcomer LOLA ANGST, einer
illustren Berliner Band, deren Kernstück und Namensgeberin
eine riesige ehemalige Kirchenorgel ist. Stampfende Beats und
Synthieklänge durchdrangen den ziemlich finsteren Raum des
Second Stage Theater, ich sah kaum die Hand vor Augen, als ich
mich der Szenerie näherte. „Lola, Lola“-Sprechchöre
wurden von Organist Alexander Goldmann (übrigens u.a. auch
bekannt als Gitarrist von Feeling B) eingefordert, den zwei russische
Ballerinas im Tütü und mit Spitzenschuhen umtanzten
(„Naja, es sollen mal 16 werden“, prophezeite er).
Insgesamt erschien mir das Projekt recht trashig, aber der musikalische
Stoff erwies sich für die Fraktion der Elektrojünger
als tanzbar und machte Laune. Unterhaltsam auch die Dialoge im
Plauderton mit Bandkollegen Reiner Schirner (bekannt als Frontmann
der Blind Passengers).
Der Anteil der menschlichen Stimme war weniger gesanglich, als
vielmehr gerufen oder geschrieen, während dazu mit vollem
Einsatz das Instrument traktiert wurde, angesiedelt irgendwo zwischen
Punk und EBM.
[Daniel]
Nach den Gitarren und mittelalterlichen Instrumenten übernahmen
inzwischen auf der Hauptbühne mit VNV NATION
wieder die Synthesizer das Regiment. Sänger Ronan Harris
zeigte sich wie eigentlich immer gut aufgelegt und angesichts
des strammen Zeitplans nicht so redselig wie man ihn sonst auf
regulären Tourkonzerten kennt. Der Headliner legte in seiner
typischen Livekonfiguration mit Partner Mark Jackson an den Drums,
der live die nötigen Akzente im Sound setzen konnte, und
zwei Keyboardern eine solide, aber nicht weltbewegende Performance
hin, die aber mit einer Art Best-Of-Setlist, bestehend aus mehrheitlich
flotteren Songs, jeden Fan der einstigen Weiberelektrokönige
zufrieden stellen konnte. Ronan absolvierte auf der Bühne
ein unglaubliches Laufpensum, nur hielt seine Stimme mit zunehmender
Konzertdauer nicht so ganz mit. Die immer wieder bewegenden Dankesbekundungen
des Sängers für die jubelnden Reaktionen aus dem Publikum,
die die eines Headliners würdig waren, entschädigten
für die gerade mal eine Stunde Spielzeit, die VNV
NATION zur Verfügung stand.
Setlist VNV Nation: Chrome, Darkangel, Entropy,
Carbon, Epicentre, Homeward, Perpetual, Further, Beloved, Praise
The Fallen 2005
Etwa 20 Minuten
nach Beginn der VNV Nation Show sollte im benachbarten 2nd Stage
Theater die japanische Visual Kei Formation CALMANDO QUAL,
was so viel wie „stilles Leiden“ bedeutet, ihren Auftritt
starten. Angeregt durch den Auftritt ihrer Landsleute Moi Dix
Mois auf dem Wave-Gotik-Treffen wollte ich es mir nicht entgehen
lassen, zumindest kurz hereinzuschauen, nur leider ließen
sich die fünf Jungs sehr viel Zeit bei ihrem Soundcheck,
so dass sich der Zeitplan der zweiten Bühne nach hinten schob
und die Masse an Besuchern, die nach dem Auftritt von VNV Nation
in die anscheinend immer noch stockfinstere Halle strömte,
um Combichrist zu sehen, in den Genuss von eigenwilliger Performance
und Sounds der Japaner kam. Die für europäische Ohren
ungewohnten, stellenweise ungezügelt harten Gitarrensounds,
zerrissene Songstrukturen und der japanische Gesang waren für
manchen Combichrist-Fan sicherlich eine Qual, ich fand es aber
interessant, den bunt bemalten Musikern bei ihrer elegisch-kranken
Performance zuzuschauen – sofern man die kleingewachsenen
Asiaten auf der niedrigen Bühne in der Dunkelheit überhaupt
erkennen konnte. CALMANDO QUAL hat es anscheinend
auch Spaß gemacht, denn sie kamen mehrere Male für
zusätzliche Songs auf die Bühne zurück, was zumindest
von den ersten Reihen dankbar aufgenommen wurde.
Man hatte
bereits während des Auftritts von Calmando Qual das Gefühl,
dass sich das komplette Publikum von VNV Nation in die wesentlich
kleiner bemessene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht unerträglich
heiß temperierte Halle drängte. Nach einiger Zeit sind
nicht wenige Leute angesichts der schon fast klaustrophobischen
Enge und unerträglichen Temperaturen freiwillig draußen
geblieben. Da hätten die Veranstalter die zweite Bühne
besser eher bespielen und COMBICHRIST auf der
Mainstage spielen lassen können. Auch COMBICHRIST-Frontmann
Andy LaPlegua hatte unter Hitze in der Halle zu leiden und wollte
gar vor dem letzten Song This Shit Will Fuck You Up wegen
akutem Wassermangel auf der Bühne streiken. Wer COMBICHRIST
schon einmal live gesehen hat, weiß was einen erwartet und
dementsprechend hatte der hohe Besucherandrang seinen Grund. LaPlegua
- mit erstaunlich hitzeresistenter, obligatorischer Kampfbemalung
im Gesicht - und seine beiden Mitstreiter auf dem Synthiepodest
hämmerten die Meute mit ihrem gnadenlosen technoiden Electrogewitter
in den drohenden Kreislaufkollaps. Fast nur Tanzflächenkracher
wie Blut Royale, Like To Thank My Buddies, Without EmotElectroheadions
und neben der aktuellen Single Get Your Body Beat auch
ein neuer Song namens , sorgten für enthusiastische Reaktionen
im Kölner Hexenkessel nicht nur unter den Schweißerbrillen-
und Kunsthaarträgern, die die wenigen aber dafür umso
markig sinnfreieren Textzeilen der einzelnen Songs fleißig
mitbrüllten.
[Susanne]
Mit etwa 20minütiger Verspätung betraten DIARY
OF DREAMS als letzte Band des Samstagabends die Bühne
des Second Stage Theater. Mastermind Adrian wirkte unentspannt,
ja fast aggressiv, als es mit Rumours About Angels grandios
losging. Es sollte ja eine Best-Of-Show werden und dementsprechend
befand ich mich in freudiger Erwartung, ein paar ältere,
seltener gespielte Songs zu vernehmen. In der Halle war inzwischen
eine geradezu unerträgliche Luft, ich stand recht weit vorne
und schon zu Beginn schwitzte ich mich halb tot und war froh,
mir an der kostenlosen Wasserstelle am Eingang noch vor der Show
Flüssigkeit zugeführt zu haben. Es folgten Chemicals,
Gift-Raum, O Brother Sleep und But The Wind Was Stronger.
Einige Leute hatten bereits wegen akuter Kreislaufprobleme die
Halle verlassen müssen, aber ich hielt tapfer durch. DIARY
OF DREAMS in Hochform, zunehmend weniger aggressiv, und
als Adrian schließlich leise fragte „Kennt ihr das
noch?“ begann Retaliation und das Ausharren hatte
sich gelohnt. Lange nicht mehr live gehört! Es folgten End(giftet),
Kindrom, The Curse und natürlich der Traumtänzer
(„Es steht die Luft hier in der Schwebe als ob der Wind
auch nicht mehr lebe“ – „Wie wahr!“, dachte
ich und dehydrierte tapfer vor mich hin). Bei Kindrom
schien Adrian sich allmählich entspannt zu haben und gönnte
den Mädels mal wieder den Anblick seiner offenen Haare, trotz
der stickigen Hitze. Unglückseligerweise allerdings war nach
Traumtänzer bereits Schluss, die nachdrücklichen
Rufe nach Zugabe verhallten unerfüllt und ein missmutiges
Pfeifkonzert ertönte, hatte die Band trotz späteren
Anfangens doch pünktlich zum Schluss kommen müssen.
Zwar kamen alle nochmal auf die Bühne, allerdings nicht mehr
um zu spielen. Schade. Ich hätte gern noch etwas mehr gehört
und rettete mich nun endlich ins Freie und in die kühle,
sauerstoffreichere Nachtluft hinaus, wo ich glücklicherweise
eine Mitfahrgelegenheit zu meinem Hotel fand, da ich komplett
nassgeschwitzt nicht unbedingt noch drei Kilometer laufen wollte.
So endete der erste Amphi-Tag.
Sonntag,
23.07.2006
[Susanne]
Opener des zweiten Tages waren FROZEN PLASMA
(Ex-NamNamBulu), die bereits spielten, als ich das Gelände
betrat und mir seltsam bekannt vorkamen. Erklärung dafür
war der charismatische Felix Marc, dessen angenehme Stimme ich
bereits von Diorama kannte, wo er neben Torben Wendt (bekannt
als Tastenmann von Diary Of Dreams) als Backgroundsänger
fungierte. „Zum Mittagessen“ gab es so eine schöne
Portion tanzbaren Elektropops.
Flötenklänge
voller Orientalismen durchdrangen die Luft und ich fühlte mich
wie am Rand der Wüste, denn sie Sonne schien von wolkenlosem
Himmel, während ich mich in die Kölsch-freie Zone des
Pressebereichs gerettet hatte (Ich als Altbiertrinker – lost
in Köln!) und eine Flasche eiskalten Berliner Pilseners zu
Mittag trank. FAUN begannen mit großem Bühnenaufgebot
an Instrumentarium (verschieden Harfen, Drehleiern, Zupfinstrumenten
auch aus dem arabischen Raum, Trommeln, usw.) und Personal ihr Set.
Schellentrommeln erklangen wie Klapperschlangenrasseln und lautmalerischer
mittelalterlich-folkiger Gesang ertönte. Vermutlich hatte ich
einen Sonnenstich und neigte daher zu solchen Assoziationen. Die
Texte der sympathischen Münchner ranken sich (wie der Kunstefeu
um die Mikroständer) um Sagen, Mythen, Märchen und natürlich
die Liebe. Obwohl ich mit meiner Germanistenseele einen Trend zu
sehr vorhersehbaren Reimwörtern in den Texten, die ich verstehen
konnte, erkannte, entschädigte mich doch die ruhige, entspannende,
sphärische, gefällige Musik.
[Daniel]
Mit den durchgestylten Italienischen Newcomern DOPE
STARS INC. und ihrem zackigen Industrial-Rock’n’roll
ging es vom Mittelalter aus gleich direkt in die Zukunft. Die
Jungs hatten vor ihrem Auftritt anscheinend gut in ihren Schminktopf
gelangt und gaben sich auf der Bühne hoch motiviert, aber
man merkte, dass trotz großem Gepose noch nicht so viel
Live-Erfahrung dahinter steckt. Sänger Victor Love ließ
im Vergleich zum Tonträger einen charmanten Italo-Akzent
hervorblitzen und jagte mit seinen Mannen Songs vom hervorragenden
Debüt Neuromance, wie das treibende
10.000 Watts, Theta Titanium oder Make A Star
von der gerade eben erschienenen gleichnamigen EP durch die Soundanlage.
Die Cyberrocker brachten die Mädchen in den ersten Reihen
zwar schon ordentlich in Wallung, aber im direkten Vergleich zu
alten Poserexperten wie den 69 Eyes sind die DOPE STARS
INC. im Liveeinsatz durchaus noch steigerungsfähig.
Techno-DJ
Terence FIXMER hat hinter Mischpult und Laptop,
äußerst relaxt im Schatten stehend, wahrscheinlich
kaum einen Schweißtropfen vergossen. Hier und da mal einen
Knopf drücken oder drehen oder auch kurz zum Computer schielen.
Dafür rackerte sich der zweite Teil des Duos, EBM-Shouter-Legende
Douglas MCCARTHY mit obligatorischer, groß
dimensionierter Pilotensonnenbrille, im vorderen Bereich der Bühne
mehr als ab. Zu den fortwährend knallenden, minimalistischen
Beats und Synthielinien aus der Konserve zeigte McCarthy wieder
eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Auch wenn mit Freefall,
dem genialen Destroy oder You Want It nur wenige
bekannte Song des bislang einzigen vollständigen Albums der
Kollaboration Between The Devil zu hören
waren, machte es einfach Spaß dem Herren mit der großen
Sonnenbrille beim Brüllen von Textzeilen wie „You
Want It – You Got It“ oder dem Zelebrieren musikalischer
Spannungsbögen einzelner Songs bis zum Zerreißen zu
beobachten. Das bewerkstelligen nur weniger Frontmänner aus
dem Elektrobereich. Das Publikum jedenfalls ließ sich von
den vielen unerwarteten und vielleicht auch noch unveröffentlichten
Songs – Nitzer-Ebb-Titel konnte ich auch nicht ausmachen
- nicht beirren und genoss den unaufhörlich pumpenden Basssound.
Vielleicht sollte Mr. McCarthy auf der Bühne nicht so maulfaul
sein und auch mal Titel ansagen, dann wüssten wir jetzt mehr.
[Susanne]
Ich hatte ja im Vorfeld schon einiges Kontroverse über SAMSAS
TRAUM gehört und umso überraschter war ich
schließlich, als ein durch und durch sympathischer Alexander
Kaschte die Bühne betrat, der so gar nichts gemein hatte
mit dem Bild, das ich mir aus den Erzählungen gemacht hatte.
Sicher, der Opener Es war einmal befremdet wohl beim ersten Hören,
ist aber eingängig und viele grölten lauthals „Ich
werde Taliban“ mit, wodurch das Publikum gleich in die richtige
Stimmung geriet. Mit der Überleitung „heiß heute...
heiß wie die Liebe...“ setzte daraufhin gitarrenlastig
und eingängig K.haos-Prinz und Wind.Prinzessin
ein. Um zum dritten Song überzuleiten, bediente sich A. Kaschte
eines garstigen Handpüppchens mit grunzender Metaller-Stimme,
es sei eines der letzten Male, dass man Die Zärtlichkeit
der Verdammten live spiele (und hier bestätigte sich
das Gerücht, SAMSAS TRAUM würde sich
in Bälde einem musikalischen Wandel unterziehen). Durch
ein Saxophonintro wurde dem Stromausfall im Herzspital der
Weg bereitet. „Jetzt machen wir mal was Lustiges!“
meinte A. Kaschte und freute sich, dass zum ersten Mal ein Familienmitglied
bei einem seiner Auftritte anwesend war, woraufhin er seinem Publikum
stolz seine kleine Schwester Annabell vorstellte.
Weiter ging es mit Ein Fötus Wie Du und ich dachte
so bei mir: „Unglaublich, wie schnell dieser Mensch singen
kann, und trotzdem versteht man jedes Wort. Wirklich beeindruckend!“,
während mich Passagen wie „Heute ist der 11.September,
komm auf mein Begräbnis, Baby!“ wieder ein ganz
kleines bisschen irritierten.
Infolge einer irrtümlichen E-Mail soll angeblich bekannt
geworden sein, Gitarrist Daniel wolle die Band verlassen, um in
Amsterdam Klarinette zu studieren. Kaschte berichtigte diesen
Irrtum und bestätigte offiziell, Daniel würde natürlich
bei SAMSAS TRAUM bleiben.
Weiter ging es mit Endstation Eden, langsamer als die
Songs davor, wieder sangen viele mit und mich beschlich die Assoziation
mit einer Schlagerhymne... natürlich nicht annähernd
so platitüdenhaft. ;-)
Danach Einer gegen alle und Bis ans Ende der Zeit
(mit einem kleinen, aber feinen Gitarrensolo) und ein weiteres
Mal überzeugte mich Kaschte durch Stimmgewaltigkeit und überaus
prononcierten Gesang. Er schien wirklich einen Riesenspaß
zu haben und dem Publikum gefiel es, eine wirklich gelungene Performance,
musikalisch ein Konglomerat aus ein bisschen Metal, ein bisschen
Elektronik, sehr energiegeladen und akzentuiert durch Saxophonklänge.
Zugabe nach ein bisschen Zögern war schließlich Kugeln
im Gesicht – wir sind wirklich krank.
Die Finnland-Fähnchen
wurden auch am Sonntag gezückt, diesmal um Jonne & Co.
zu huldigen, der zweiten finnischen Combo des Amphi-Festivals:
NEGATIVE. Leider musste ich nach nur vier Liedern
bereits aufbrechen, und die Heimreise antreten, da meine Fahrer
wohl die Sonne nicht so gut vertragen hatten (ich selbst hatte
mir mittlerweile auch Sonnenbrand eingefangen). Was ich jedoch
sah, war guter, alter Rock’n’Roll mit viel Gepose,
dreckigen Gesten und ordentlich Wumms, umtost von der kreischenden
Mädchenschar der vorderen Reihen. Man musste zugeben: Sie
strahlen schon etwas aus, diese Jungs, wenngleich das Styling
etwas an die Visual Kei-Bands gemahnte, von denen es am Vortag
Calmondo Qual zu sehen und zu hören gab. Allerdings haben
mich NEGATIVE durch ihren ohrenfälligen
melodischen Rock letztlich doch wesentlich mehr überzeugt,
über Geschmack lässt sich ja bekanntlich vortrefflich
streiten.
[Kerstin]
Leider war ich von der finnischen Nachwuchsband um Jonne Aaron
- neuerdings mit deutlich kürzeren Haaren - nicht ganz so
überzeugt wie Susanne, da das ganze Rumgepose doch sehr an
die Rocker von Guns’n’Roses erinnerte, inklusive Rotzerei
auf die Bühne und ins Publikum, was die kleinen Mädchen
mit noch lauterem Kreischen erwiderten. Jonnes Versuch, sich einen
Tetrapack an die Hose zu halten und das Wasser in Nachahmung einer
anderen Geste ins Publikum zu spritzen, wurde ebenfalls mit Kreischen
honoriert. Die Dichte an tättowierten HIM-Heartagrammen war
genauso wie bei den 69 Eyes erschreckend hoch. Leider schien der
gute Jonne sich nicht allzu gut in der Musikszene Deutschlands
auszukennen, da er offensichtlich die Rufe nach And One nicht
verstand und die Leute sogar noch ermutigte lauter zu rufen.
[Daniel]
Nach buntem Glamrock für etwas jüngere Altersgruppen,
wurde es mit AND ONE endlich Zeit für bodenständigen
Electropop ohne großartigem Schnickschnack, aber dafür
natürlich mit den unverwechselbaren Synthiesounds. AND
ONE live zu erleben, hat sich bislang bei mir leider
nie ergeben, dafür haben mich die drei sympathischen Herren
auf der Bühne während ihres leider nur 50-minütigen
Auftritts völlig überzeugt. Steve Naghavi ließ
es sich nicht nehmen die Fans in den ersten Reihen persönlich
zu begrüßen, indem er sich durch die Fotografen im
vorderen Graben wuselte, und feuerte mit seinen beiden Mitstreitern
hinter der Technik ein wahres Hitfeuerwerk von der Bühne
ab, das dankend aufgenommen wurde. Kultsongs wie Metalhammer
oder Deutschmaschine und natürlich Technoman
als Abschluss wurden mit hoher Textsicherheit bis in die letzten
Reihen hinein gnadenlos abgefeiert, aber es kamen neben den unzähligen
Klassikern der Band auch Titel des kommenden Albums Bodypop
wie die Single Military Fashion Show zum Zuge. Der smarte
Naghavi behielt trotz hoher Laufleistung auf der Bühne wacker
bis zum Schluss sein Jacket an und lieferte sich mit Keyboarder
Chris spaßige Gesangsduelle. Dieses Konzert hat richtig
Lust auf das neue Album und die Tour im Herbst gemacht.
Die zwei Synthies
von And One waren schnell weggeräumt und jetzt wurde es auf
der Bühne richtig voll. Sechs Musikanten von SCHANDMAUL
bevölkerten die Bühne, zunächst aber hinter einem
halb durchsichtigen Vorhang verdeckt. Der mittelalterliche Folkrock
von SCHANDMAUL ist musikalisch nicht unbedingt
mein Ding, aber die Band agierte höchst professionell und
auf der Bühne tobte pure Action. Es wurde an etlichen, teils
mittelalterlichen Instrumenten musiziert, was das Zeug hält.
Zwischen den Songs mimte Sänger Thomas immer wieder den Geschichtenerzähler,
eine meist amüsante Ruhepause für die Fans, denen die
Band wirklich die letzten Kräfte entlockte. Natürlich
durfte auch der große Hit Walpurgisnacht nicht
fehlen. Besonderen Respekt gebührt dem Barden, dass sich
fast das komplette Publikum auf seine Anweisung hin in die Hocke
begab und auf Kommando hochsprang – und das nach zwei anstrengenden
Festivaltagen bei heißestem Wetter. Wer so etwas schafft,
wird natürlich auch mächtig abgefeiert und somit dürften
Schandmaul für viele der anwesenden Besucher eines der absoluten
Highlights des Festivals gewesen sein, das leider schon um kurz
vor zehn sein Ende fand.
Fazit:
Die zweite Auflage der AMPHI FESTIVAL war eine
durchweg gelungene Angelegenheit mit nur sehr kleinen Abstrichen.
Gute Stimmung im Publikum, schönes Gelände und abwechslungsreiches
Programm (leider haben wir es zu den Lesungen nicht mehr geschafft)
bei einer reibungslosen Organisation, von den zeitlichen Verschiebungen
mal abgesehen und – was leider nicht immer selbstverständlich
ist – fast durchweg guter Sound in einer angenehmen Lautstärke.
Da freut man sich auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr,
bei hoffentlich angenehmeren Temperaturen und einem reichhaltigeren
Angebot, den Hunger zu bekämpfen.
P.S.: Bitte beim nächsten Mal „richtige“
Umbaupausenmusik benutzen, denn die fortwährende Wiederholung
einer kurzen Hörbuchpassage hat nicht wenige Nerven arg strapaziert.
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