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2006-07-22-23 DE – Köln - Tanzbrunnen

[Daniel] Die Wettervorhersage vermeldete Unheilvolles: heiß und dazu noch gewittrig sollte das AMPHI Wochenende werden. Erfreulicherweise hatte sich deshalb im Vorfeld der Veranstalter bereit erklärt, eine kostenlose Trinkwasserstelle zur Verfügung zu stellen, ohne die wir im nachhinein das Festival – wie viele andere Besucher ebenfalls - wohl kaum überlebt hätten, denn bei den hohen Außentemperaturen und ebenfalls hohen Getränkepreisen bestand die Gefahr einer gnadenlosen Verschuldung. 11 Euro für einen halben Liter Festivalmet erscheint rekordverdächtig. Da bekommt man schon einen relativ guten Rotwein für oder wahlweise auch eine Pulle Jim Beam... Doch auch die restlichen Getränkeangebote bewegten sich preislich auf einem hohen Niveau.
Nachdem wir an dem recht zentral in Köln auf der rechten Rheinseite gelegenen Gelände des Tanzbrunnens erst einmal klassischerweise vorbeigefahren sind und als Strafe ein gutes Stück zu Fuß laufen durften, verlief der Einlass im Gegensatz zum Debüt des Festivals im letzten Jahr ohne Probleme und man konnte erst einmal in Ruhe das Gelände erkunden.
Viele Blumenbeete, teils mit kleinen Palmen, ein kleiner Teich mit Insel, die von einem Verkaufsstand in Beschlag genommen wurde und sogar ein Spielplatz bildeten das etwas ungewöhnliche Ambiente für ein Festival der schwarzen Klänge. Dabei muss man sagen, dass auf dem Gelände schon noch Platz für weitere Verkaufsstände gewesen wäre, so blieb in dem Bereich ebenso wie fürs leibliche Wohl das Angebot doch etwas dürftig – wenig Auswahl zu hohen Preisen.

.:: Fotos ::.

Samstag, 22.07.2006

[Daniel] Normalerweise ist man von Festivals der etwas umfangreicheren Größenordnung fast schon Pedanterie im Einhalten des Ablaufplans oder zumindest leichte Verzögerungen nach Hinten gewohnt, die den Künstlern dann gerne von ihrer Spielzeit abgezogen werden. In Köln sollte man aber eine neue Variante kennen lernen. Nach anfänglichen Erkundungen des Geländes und erstem Festbeißen an einem Verkaufsstand eines bekannten Szeneausstatters drangen vertraute Klänge vom Soundcheck des Openers THIS MORN’ OMINA an mein Ohr. Höchste Zeit also, sich in Richtung Bühne zu begeben. So fingen die Belgier schließlich zehn Minuten vor der offiziell verkündeten Uhrzeit an – und hörten auch zehn Minuten eher auf, so dass sich der Zeitplan bei den nachfolgenden Bands um stellenweise bis zu Viertelstunde nach vorne verschob, was bei einigen Leuten mit Sicherheit sauer aufgestoßen ist.

Doch nun zum ersten Konzert: THIS MORN’ OMINA lösten die normalerweise undankbare Aufgabe als erste Bands des Festivals mit Bravour. Vielen der zu dieser Uhrzeit schon recht zahlreich anwesenden Besuchern sicherlich durch ihren Tanzflächenkracher One Eyed Man bekannt, heizte der Knöpfchendreher Miguel Godrijk mit zwei Verstärkungen an akustischen wie elektronischen Schlaginstrumenten mit seinem ethnomäßigen, rhythmischen Industrialsound neben den unerträglichen Außentemperaturen zusätzlich ein. Die beiden Trommler auf der Bühne wirkten, neben dem fleißig zappelnden und etwas effekthascherisch an seinem Mischpult herumhantierenden Miguel Godrijk, schon etwas wie links und rechts postierte Statisten, gaben dem Auftritt aber, im Gegensatz zu den sonst in diesem Genre so präsenten reinen Laptop-Performances, den nötigen Live-Kick und dem in den vorderen Reihen fleißig tanzendem Publikum eine halbe Stunde lang die volle Tribaldröhung. Da war es völlig wurscht, dass der „einäugige Mann“ nicht angestimmt wurde.

CEPHALGY haben mich schon auf dem Out Of Line Festival alles andere als vom Hocker gerissen und auch als zweite Band auf der Main Stage in Köln können sie bei mir mit ihren vorhersehbaren Electrosounds, deren Stilistik mich stark an Projekte eines gewissen Chris Pohl (Blutengel, Terminal Choice, Tumor) erinnern, trotz stellenweise guter Melodien einfach keinen Blumentopf gewinnen. Nöliger Gesang, klischeehafte Texte und Bühnenshow – dieses Mal mit weiblicher Unterstützung am Kunstbluttopf. Ich brauche eigentlich nicht zu erwähnen, dass der Frontmann seine Sonnenbrille während des Gigs nicht abnahm. Dafür versuchte er, das Publikum mit dem Charme eines Feldwebels zum Tanzen zu animieren, was ihm teilweise auch gelang, denn Songs wie Engel sterben nie, Erinnerung oder Gott kamen beim Publikum ganz gut an, auch wenn die große Euphorie ausblieb. Also wenn schon die volle Klischeeladung, dann lieber das Original in Form von Blutengel und Co.

[Susanne] WELLE:ERDBALL waren der erste echte Stimmungsmacher an diesem durchwachsenen Samstagnachmittag. Man drängte sich unter der Überdachung vor der Hauptbühne zusammen, als der zweite Regeschauer niederging und ließ sich von den C64-Klängen mitreißen. Vom neuen Album Chaos Total, das am 1.9. erscheinen wird, gab es ein paar Schmankerl zu hören wie Das Alpha-Tier, Hoch die Fahnen, Der Telegraph und die schmissige old-fashioned Fifties-Boogie-Nummer Das Souvenir. Weitere Highlights waren natürlich Starfighter F-104G und Schweben, Fliegen und Fallen, währenddessen große Luftballons über das Publikum schwebten, derer fünf angeblich Fünfzig-Euro-Scheine enthalten sollten, was ich persönlich leider nicht verifizieren konnte. ;-)

Eingestimmt durch Cry Little Sister vom Lost Boys-Soundtrack betraten die Finnen 69 EYES die Bühne und brachten sogleich mit dem Opener Devils den Rock’N’Roll aufs Festivalgelände, als auch die Sonne wieder die dunklen Regenwolken durchbrach und den Tanzbrunnen mit ihren abendlichen Strahlen überflutete. Finnland-Fähnchen wurden in den ersten Reihen geschwenkt. Es folgte Hevioso und mit den Worten „It’s good to be back in Germany“ stimmte Jyrki69 Feel Berlin an. Darauf folgten The Chair, Sister Of Charity, Dance D’Amour, Framed In Blood und mit “You guys rock!!” verabschiedeten sich die selbsternannten Helsinki Vampires mit dem Song Lost Boys. Als Outro lief People Are Strange, wiederum aus dem Lost Boys-Soundtrack. Es gab keine großen Überraschungen, die Setlist war so, wie man sie erwartete, dennoch finnischer Goth’N’Roll at its best..

[Kerstin] Jyrki hatte die gleiche Unfrisur wie vor 2 Jahren auf dem M’era Luna Festival, hüpfte die ganze Zeit mit dem Mikro durch die Gegend wie ein indianischer Medizinmann und ließ es sich nicht nehmen, sich auf Jussis Basedrum zu stellen und kokett mit dem Arsch zu wackeln, alles in allem also ein sehr professioneller Auftritt...

[Susanne] „Stille Nacht... alles schläft, nur wir sind wach...“ stimmte Eric Fish leise an, bevor SUBWAY TO SALLY der Sommerhitze mit Schneekönigin entgegentrotzten, während die Wunder der Technik dazu Kunstschnee links und rechts von der Bühne rieseln ließen und eine so absurde wie erfrischende winterliche Illusion erweckten, als die letzten Strahlen der Abendsonne die eine oder andere bleiche Gotenhaut bereits zart gerötet hatte. Nicht lange wähnte man sich in winterlicher Idylle, denn es folgte sogleich der Kontrast, die Pyrotechnik-Maschinerie wurde angeworfen und man fand sich im Feuerland wieder.
„Es ist so naheliegend“, so Eric überleitend, „es sind nur ein paar Schritte zum Vater Rhein, was läge näher, als euch auf ein Schiff einzuladen, an dessen Mast ein Büschel Haare weht... auf das Knochenschiff“. Wie passend, dachte ich da so bei mir, die ich mich umzingelt von Jack-Skellington-Täschchen und Haarspängchen sah. Grinsende Totenschädelchen allüberall. ;-) Wie üblich war es Subway natürlich gelungen, ihr Publikum dazu zu bewegen, den Refrain mitzusingen, was natürlich ebenso beim folgenden Kleid aus Rosen zu erwarten war, wozu es noch eine kleine Feuershoweinlage gab.
Das folgende Lied Minne war von der Instrumentierung her an die Akustiktour angelehnt und beruhigte die erhitzten Fans, bevor es hernach darum ging, „die Hitze zu besiegen“ in Gestalt von Die Schlacht. Als sei es nicht schon heiß genug, gab es dazu natürlich wieder jede Menge Feuer, aber auch ein bisschen Erbarmen, als Eric zur Abkühlung einen Wasserschlauch auf die Menge richtete. „Mann, ist das hell, ihr seid doch alle Nachtschatten“ rief er und stimmte daraufhin das schöne Lied Eisblumen an und ließ auch eine kleine etwas verschüchterte „Eisblume“ aus dem Publikum auf die Bühne holen.
Es folgten Falscher Heiland und Das Rätsel II, als danach das Publikum Julia und die Räuber anstimmte – doch es bedurfte noch zweier weiterer Lieder, nämlich Sieben und Veitstanz, bis es seinen Willen bekam - zu guter Letzt also Julia und die Räuber.
Ich hatte mich schon nach den ersten Liedern an den Rand in den Schatten zurückgezogen, so dass ich keinen vollen Blick mehr auf die Bühne bekam, so war mir wohl auch entgangen, dass Herr Fish, wie Kollege Daniel mir berichtete, infolge eines harmlosen Sturzes unfreiwillig die Antwort auf die Frage lieferte, was berockte Männer so drunter tragen. Aber wer bei dieser Hitze so mit dem Feuer spielt, trägt eben nur das Nötigste am Leib. ;-)

Inzwischen hatte man die Tore zur zweiten Bühne in der Halle geöffnet, worin es zu diesem Zeitpunkt noch schön kühl war, was sich aber im Verlaufe des späteren Abends drastisch ändern sollte.

So kam ich zu dem Auftritt der Newcomer LOLA ANGST, einer illustren Berliner Band, deren Kernstück und Namensgeberin eine riesige ehemalige Kirchenorgel ist. Stampfende Beats und Synthieklänge durchdrangen den ziemlich finsteren Raum des Second Stage Theater, ich sah kaum die Hand vor Augen, als ich mich der Szenerie näherte. „Lola, Lola“-Sprechchöre wurden von Organist Alexander Goldmann (übrigens u.a. auch bekannt als Gitarrist von Feeling B) eingefordert, den zwei russische Ballerinas im Tütü und mit Spitzenschuhen umtanzten („Naja, es sollen mal 16 werden“, prophezeite er). Insgesamt erschien mir das Projekt recht trashig, aber der musikalische Stoff erwies sich für die Fraktion der Elektrojünger als tanzbar und machte Laune. Unterhaltsam auch die Dialoge im Plauderton mit Bandkollegen Reiner Schirner (bekannt als Frontmann der Blind Passengers).
Der Anteil der menschlichen Stimme war weniger gesanglich, als vielmehr gerufen oder geschrieen, während dazu mit vollem Einsatz das Instrument traktiert wurde, angesiedelt irgendwo zwischen Punk und EBM.

[Daniel] Nach den Gitarren und mittelalterlichen Instrumenten übernahmen inzwischen auf der Hauptbühne mit VNV NATION wieder die Synthesizer das Regiment. Sänger Ronan Harris zeigte sich wie eigentlich immer gut aufgelegt und angesichts des strammen Zeitplans nicht so redselig wie man ihn sonst auf regulären Tourkonzerten kennt. Der Headliner legte in seiner typischen Livekonfiguration mit Partner Mark Jackson an den Drums, der live die nötigen Akzente im Sound setzen konnte, und zwei Keyboardern eine solide, aber nicht weltbewegende Performance hin, die aber mit einer Art Best-Of-Setlist, bestehend aus mehrheitlich flotteren Songs, jeden Fan der einstigen Weiberelektrokönige zufrieden stellen konnte. Ronan absolvierte auf der Bühne ein unglaubliches Laufpensum, nur hielt seine Stimme mit zunehmender Konzertdauer nicht so ganz mit. Die immer wieder bewegenden Dankesbekundungen des Sängers für die jubelnden Reaktionen aus dem Publikum, die die eines Headliners würdig waren, entschädigten für die gerade mal eine Stunde Spielzeit, die VNV NATION zur Verfügung stand.
Setlist VNV Nation: Chrome, Darkangel, Entropy, Carbon, Epicentre, Homeward, Perpetual, Further, Beloved, Praise The Fallen 2005

Etwa 20 Minuten nach Beginn der VNV Nation Show sollte im benachbarten 2nd Stage Theater die japanische Visual Kei Formation CALMANDO QUAL, was so viel wie „stilles Leiden“ bedeutet, ihren Auftritt starten. Angeregt durch den Auftritt ihrer Landsleute Moi Dix Mois auf dem Wave-Gotik-Treffen wollte ich es mir nicht entgehen lassen, zumindest kurz hereinzuschauen, nur leider ließen sich die fünf Jungs sehr viel Zeit bei ihrem Soundcheck, so dass sich der Zeitplan der zweiten Bühne nach hinten schob und die Masse an Besuchern, die nach dem Auftritt von VNV Nation in die anscheinend immer noch stockfinstere Halle strömte, um Combichrist zu sehen, in den Genuss von eigenwilliger Performance und Sounds der Japaner kam. Die für europäische Ohren ungewohnten, stellenweise ungezügelt harten Gitarrensounds, zerrissene Songstrukturen und der japanische Gesang waren für manchen Combichrist-Fan sicherlich eine Qual, ich fand es aber interessant, den bunt bemalten Musikern bei ihrer elegisch-kranken Performance zuzuschauen – sofern man die kleingewachsenen Asiaten auf der niedrigen Bühne in der Dunkelheit überhaupt erkennen konnte. CALMANDO QUAL hat es anscheinend auch Spaß gemacht, denn sie kamen mehrere Male für zusätzliche Songs auf die Bühne zurück, was zumindest von den ersten Reihen dankbar aufgenommen wurde.

Man hatte bereits während des Auftritts von Calmando Qual das Gefühl, dass sich das komplette Publikum von VNV Nation in die wesentlich kleiner bemessene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht unerträglich heiß temperierte Halle drängte. Nach einiger Zeit sind nicht wenige Leute angesichts der schon fast klaustrophobischen Enge und unerträglichen Temperaturen freiwillig draußen geblieben. Da hätten die Veranstalter die zweite Bühne besser eher bespielen und COMBICHRIST auf der Mainstage spielen lassen können. Auch COMBICHRIST-Frontmann Andy LaPlegua hatte unter Hitze in der Halle zu leiden und wollte gar vor dem letzten Song This Shit Will Fuck You Up wegen akutem Wassermangel auf der Bühne streiken. Wer COMBICHRIST schon einmal live gesehen hat, weiß was einen erwartet und dementsprechend hatte der hohe Besucherandrang seinen Grund. LaPlegua - mit erstaunlich hitzeresistenter, obligatorischer Kampfbemalung im Gesicht - und seine beiden Mitstreiter auf dem Synthiepodest hämmerten die Meute mit ihrem gnadenlosen technoiden Electrogewitter in den drohenden Kreislaufkollaps. Fast nur Tanzflächenkracher wie Blut Royale, Like To Thank My Buddies, Without EmotElectroheadions und neben der aktuellen Single Get Your Body Beat auch ein neuer Song namens , sorgten für enthusiastische Reaktionen im Kölner Hexenkessel nicht nur unter den Schweißerbrillen- und Kunsthaarträgern, die die wenigen aber dafür umso markig sinnfreieren Textzeilen der einzelnen Songs fleißig mitbrüllten.

[Susanne] Mit etwa 20minütiger Verspätung betraten DIARY OF DREAMS als letzte Band des Samstagabends die Bühne des Second Stage Theater. Mastermind Adrian wirkte unentspannt, ja fast aggressiv, als es mit Rumours About Angels grandios losging. Es sollte ja eine Best-Of-Show werden und dementsprechend befand ich mich in freudiger Erwartung, ein paar ältere, seltener gespielte Songs zu vernehmen. In der Halle war inzwischen eine geradezu unerträgliche Luft, ich stand recht weit vorne und schon zu Beginn schwitzte ich mich halb tot und war froh, mir an der kostenlosen Wasserstelle am Eingang noch vor der Show Flüssigkeit zugeführt zu haben. Es folgten Chemicals, Gift-Raum, O Brother Sleep und But The Wind Was Stronger. Einige Leute hatten bereits wegen akuter Kreislaufprobleme die Halle verlassen müssen, aber ich hielt tapfer durch. DIARY OF DREAMS in Hochform, zunehmend weniger aggressiv, und als Adrian schließlich leise fragte „Kennt ihr das noch?“ begann Retaliation und das Ausharren hatte sich gelohnt. Lange nicht mehr live gehört! Es folgten End(giftet), Kindrom, The Curse und natürlich der Traumtänzer („Es steht die Luft hier in der Schwebe als ob der Wind auch nicht mehr lebe“ – „Wie wahr!“, dachte ich und dehydrierte tapfer vor mich hin). Bei Kindrom schien Adrian sich allmählich entspannt zu haben und gönnte den Mädels mal wieder den Anblick seiner offenen Haare, trotz der stickigen Hitze. Unglückseligerweise allerdings war nach Traumtänzer bereits Schluss, die nachdrücklichen Rufe nach Zugabe verhallten unerfüllt und ein missmutiges Pfeifkonzert ertönte, hatte die Band trotz späteren Anfangens doch pünktlich zum Schluss kommen müssen. Zwar kamen alle nochmal auf die Bühne, allerdings nicht mehr um zu spielen. Schade. Ich hätte gern noch etwas mehr gehört und rettete mich nun endlich ins Freie und in die kühle, sauerstoffreichere Nachtluft hinaus, wo ich glücklicherweise eine Mitfahrgelegenheit zu meinem Hotel fand, da ich komplett nassgeschwitzt nicht unbedingt noch drei Kilometer laufen wollte. So endete der erste Amphi-Tag.

Sonntag, 23.07.2006

[Susanne] Opener des zweiten Tages waren FROZEN PLASMA (Ex-NamNamBulu), die bereits spielten, als ich das Gelände betrat und mir seltsam bekannt vorkamen. Erklärung dafür war der charismatische Felix Marc, dessen angenehme Stimme ich bereits von Diorama kannte, wo er neben Torben Wendt (bekannt als Tastenmann von Diary Of Dreams) als Backgroundsänger fungierte. „Zum Mittagessen“ gab es so eine schöne Portion tanzbaren Elektropops.

Flötenklänge voller Orientalismen durchdrangen die Luft und ich fühlte mich wie am Rand der Wüste, denn sie Sonne schien von wolkenlosem Himmel, während ich mich in die Kölsch-freie Zone des Pressebereichs gerettet hatte (Ich als Altbiertrinker – lost in Köln!) und eine Flasche eiskalten Berliner Pilseners zu Mittag trank. FAUN begannen mit großem Bühnenaufgebot an Instrumentarium (verschieden Harfen, Drehleiern, Zupfinstrumenten auch aus dem arabischen Raum, Trommeln, usw.) und Personal ihr Set. Schellentrommeln erklangen wie Klapperschlangenrasseln und lautmalerischer mittelalterlich-folkiger Gesang ertönte. Vermutlich hatte ich einen Sonnenstich und neigte daher zu solchen Assoziationen. Die Texte der sympathischen Münchner ranken sich (wie der Kunstefeu um die Mikroständer) um Sagen, Mythen, Märchen und natürlich die Liebe. Obwohl ich mit meiner Germanistenseele einen Trend zu sehr vorhersehbaren Reimwörtern in den Texten, die ich verstehen konnte, erkannte, entschädigte mich doch die ruhige, entspannende, sphärische, gefällige Musik.

[Daniel] Mit den durchgestylten Italienischen Newcomern DOPE STARS INC. und ihrem zackigen Industrial-Rock’n’roll ging es vom Mittelalter aus gleich direkt in die Zukunft. Die Jungs hatten vor ihrem Auftritt anscheinend gut in ihren Schminktopf gelangt und gaben sich auf der Bühne hoch motiviert, aber man merkte, dass trotz großem Gepose noch nicht so viel Live-Erfahrung dahinter steckt. Sänger Victor Love ließ im Vergleich zum Tonträger einen charmanten Italo-Akzent hervorblitzen und jagte mit seinen Mannen Songs vom hervorragenden Debüt Neuromance, wie das treibende 10.000 Watts, Theta Titanium oder Make A Star von der gerade eben erschienenen gleichnamigen EP durch die Soundanlage. Die Cyberrocker brachten die Mädchen in den ersten Reihen zwar schon ordentlich in Wallung, aber im direkten Vergleich zu alten Poserexperten wie den 69 Eyes sind die DOPE STARS INC. im Liveeinsatz durchaus noch steigerungsfähig.

Techno-DJ Terence FIXMER hat hinter Mischpult und Laptop, äußerst relaxt im Schatten stehend, wahrscheinlich kaum einen Schweißtropfen vergossen. Hier und da mal einen Knopf drücken oder drehen oder auch kurz zum Computer schielen. Dafür rackerte sich der zweite Teil des Duos, EBM-Shouter-Legende Douglas MCCARTHY mit obligatorischer, groß dimensionierter Pilotensonnenbrille, im vorderen Bereich der Bühne mehr als ab. Zu den fortwährend knallenden, minimalistischen Beats und Synthielinien aus der Konserve zeigte McCarthy wieder eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Auch wenn mit Freefall, dem genialen Destroy oder You Want It nur wenige bekannte Song des bislang einzigen vollständigen Albums der Kollaboration Between The Devil zu hören waren, machte es einfach Spaß dem Herren mit der großen Sonnenbrille beim Brüllen von Textzeilen wie „You Want It – You Got It“ oder dem Zelebrieren musikalischer Spannungsbögen einzelner Songs bis zum Zerreißen zu beobachten. Das bewerkstelligen nur weniger Frontmänner aus dem Elektrobereich. Das Publikum jedenfalls ließ sich von den vielen unerwarteten und vielleicht auch noch unveröffentlichten Songs – Nitzer-Ebb-Titel konnte ich auch nicht ausmachen - nicht beirren und genoss den unaufhörlich pumpenden Basssound. Vielleicht sollte Mr. McCarthy auf der Bühne nicht so maulfaul sein und auch mal Titel ansagen, dann wüssten wir jetzt mehr.

[Susanne] Ich hatte ja im Vorfeld schon einiges Kontroverse über SAMSAS TRAUM gehört und umso überraschter war ich schließlich, als ein durch und durch sympathischer Alexander Kaschte die Bühne betrat, der so gar nichts gemein hatte mit dem Bild, das ich mir aus den Erzählungen gemacht hatte. Sicher, der Opener Es war einmal befremdet wohl beim ersten Hören, ist aber eingängig und viele grölten lauthals „Ich werde Taliban“ mit, wodurch das Publikum gleich in die richtige Stimmung geriet. Mit der Überleitung „heiß heute... heiß wie die Liebe...“ setzte daraufhin gitarrenlastig und eingängig K.haos-Prinz und Wind.Prinzessin ein. Um zum dritten Song überzuleiten, bediente sich A. Kaschte eines garstigen Handpüppchens mit grunzender Metaller-Stimme, es sei eines der letzten Male, dass man Die Zärtlichkeit der Verdammten live spiele (und hier bestätigte sich das Gerücht, SAMSAS TRAUM würde sich in Bälde einem musikalischen Wandel unterziehen).  Durch ein Saxophonintro wurde dem Stromausfall im Herzspital der Weg bereitet. „Jetzt machen wir mal was Lustiges!“ meinte A. Kaschte und freute sich, dass zum ersten Mal ein Familienmitglied bei einem seiner Auftritte anwesend war, woraufhin er seinem Publikum stolz seine kleine Schwester Annabell vorstellte.
Weiter ging es mit Ein Fötus Wie Du und ich dachte so bei mir: „Unglaublich, wie schnell dieser Mensch singen kann, und trotzdem versteht man jedes Wort. Wirklich beeindruckend!“, während mich Passagen wie „Heute ist der 11.September, komm auf mein Begräbnis, Baby!“ wieder ein ganz kleines bisschen irritierten.
Infolge einer irrtümlichen E-Mail soll angeblich bekannt geworden sein, Gitarrist Daniel wolle die Band verlassen, um in Amsterdam Klarinette zu studieren. Kaschte berichtigte diesen Irrtum und bestätigte offiziell, Daniel würde natürlich bei SAMSAS TRAUM bleiben.
Weiter ging es mit Endstation Eden, langsamer als die Songs davor, wieder sangen viele mit und mich beschlich die Assoziation mit einer Schlagerhymne... natürlich nicht annähernd so platitüdenhaft. ;-)
Danach Einer gegen alle und Bis ans Ende der Zeit (mit einem kleinen, aber feinen Gitarrensolo) und ein weiteres Mal überzeugte mich Kaschte durch Stimmgewaltigkeit und überaus prononcierten Gesang. Er schien wirklich einen Riesenspaß zu haben und dem Publikum gefiel es, eine wirklich gelungene Performance, musikalisch ein Konglomerat aus ein bisschen Metal, ein bisschen Elektronik, sehr energiegeladen und akzentuiert durch Saxophonklänge. Zugabe nach ein bisschen Zögern war schließlich Kugeln im Gesicht – wir sind wirklich krank.

Die Finnland-Fähnchen wurden auch am Sonntag gezückt, diesmal um Jonne & Co. zu huldigen, der zweiten finnischen Combo des Amphi-Festivals: NEGATIVE. Leider musste ich nach nur vier Liedern bereits aufbrechen, und die Heimreise antreten, da meine Fahrer wohl die Sonne nicht so gut vertragen hatten (ich selbst hatte mir mittlerweile auch Sonnenbrand eingefangen). Was ich jedoch sah, war guter, alter Rock’n’Roll mit viel Gepose, dreckigen Gesten und ordentlich Wumms, umtost von der kreischenden Mädchenschar der vorderen Reihen. Man musste zugeben: Sie strahlen schon etwas aus, diese Jungs, wenngleich das Styling etwas an die Visual Kei-Bands gemahnte, von denen es am Vortag Calmondo Qual zu sehen und zu hören gab. Allerdings haben mich NEGATIVE durch ihren ohrenfälligen melodischen Rock letztlich doch wesentlich mehr überzeugt, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich vortrefflich streiten.

[Kerstin] Leider war ich von der finnischen Nachwuchsband um Jonne Aaron - neuerdings mit deutlich kürzeren Haaren - nicht ganz so überzeugt wie Susanne, da das ganze Rumgepose doch sehr an die Rocker von Guns’n’Roses erinnerte, inklusive Rotzerei auf die Bühne und ins Publikum, was die kleinen Mädchen mit noch lauterem Kreischen erwiderten. Jonnes Versuch, sich einen Tetrapack an die Hose zu halten und das Wasser in Nachahmung einer anderen Geste ins Publikum zu spritzen, wurde ebenfalls mit Kreischen honoriert. Die Dichte an tättowierten HIM-Heartagrammen war genauso wie bei den 69 Eyes erschreckend hoch. Leider schien der gute Jonne sich nicht allzu gut in der Musikszene Deutschlands auszukennen, da er offensichtlich die Rufe nach And One nicht verstand und die Leute sogar noch ermutigte lauter zu rufen.

[Daniel] Nach buntem Glamrock für etwas jüngere Altersgruppen, wurde es mit AND ONE endlich Zeit für bodenständigen Electropop ohne großartigem Schnickschnack, aber dafür natürlich mit den unverwechselbaren Synthiesounds. AND ONE live zu erleben, hat sich bislang bei mir leider nie ergeben, dafür haben mich die drei sympathischen Herren auf der Bühne während ihres leider nur 50-minütigen Auftritts völlig überzeugt. Steve Naghavi ließ es sich nicht nehmen die Fans in den ersten Reihen persönlich zu begrüßen, indem er sich durch die Fotografen im vorderen Graben wuselte, und feuerte mit seinen beiden Mitstreitern hinter der Technik ein wahres Hitfeuerwerk von der Bühne ab, das dankend aufgenommen wurde. Kultsongs wie Metalhammer oder Deutschmaschine und natürlich Technoman als Abschluss wurden mit hoher Textsicherheit bis in die letzten Reihen hinein gnadenlos abgefeiert, aber es kamen neben den unzähligen Klassikern der Band auch Titel des kommenden Albums Bodypop wie die Single Military Fashion Show zum Zuge. Der smarte Naghavi behielt trotz hoher Laufleistung auf der Bühne wacker bis zum Schluss sein Jacket an und lieferte sich mit Keyboarder Chris spaßige Gesangsduelle. Dieses Konzert hat richtig Lust auf das neue Album und die Tour im Herbst gemacht.

Die zwei Synthies von And One waren schnell weggeräumt und jetzt wurde es auf der Bühne richtig voll. Sechs Musikanten von SCHANDMAUL bevölkerten die Bühne, zunächst aber hinter einem halb durchsichtigen Vorhang verdeckt. Der mittelalterliche Folkrock von SCHANDMAUL ist musikalisch nicht unbedingt mein Ding, aber die Band agierte höchst professionell und auf der Bühne tobte pure Action. Es wurde an etlichen, teils mittelalterlichen Instrumenten musiziert, was das Zeug hält. Zwischen den Songs mimte Sänger Thomas immer wieder den Geschichtenerzähler, eine meist amüsante Ruhepause für die Fans, denen die Band wirklich die letzten Kräfte entlockte. Natürlich durfte auch der große Hit Walpurgisnacht nicht fehlen. Besonderen Respekt gebührt dem Barden, dass sich fast das komplette Publikum auf seine Anweisung hin in die Hocke begab und auf Kommando hochsprang – und das nach zwei anstrengenden Festivaltagen bei heißestem Wetter. Wer so etwas schafft, wird natürlich auch mächtig abgefeiert und somit dürften Schandmaul für viele der anwesenden Besucher eines der absoluten Highlights des Festivals gewesen sein, das leider schon um kurz vor zehn sein Ende fand.

Fazit: Die zweite Auflage der AMPHI FESTIVAL war eine durchweg gelungene Angelegenheit mit nur sehr kleinen Abstrichen. Gute Stimmung im Publikum, schönes Gelände und abwechslungsreiches Programm (leider haben wir es zu den Lesungen nicht mehr geschafft) bei einer reibungslosen Organisation, von den zeitlichen Verschiebungen mal abgesehen und – was leider nicht immer selbstverständlich ist – fast durchweg guter Sound in einer angenehmen Lautstärke. Da freut man sich auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr, bei hoffentlich angenehmeren Temperaturen und einem reichhaltigeren Angebot, den Hunger zu bekämpfen.
P.S.: Bitte beim nächsten Mal „richtige“ Umbaupausenmusik benutzen, denn die fortwährende Wiederholung einer kurzen Hörbuchpassage hat nicht wenige Nerven arg strapaziert.

 

stories © Daniel, Kerstin & Semiramis • pics © Daniel